Wissenswertes – Best Practices

Einblicke in die Arbeit mit straffälligen Jugendlichen – ein Interview mit Minh Nguyen Huu

 

Bestpracticehuu

Zur Person: Minh ist ausgebildeter Sozialarbeiter und TESYA Antigewalttrainer, arbeitet schon seit 8 Jahren bei Ostkreuz City und davon zirka 3 Jahre als Teamleiter für die ambulanten sozialpädagogischen Angebote nach §10 JGG der Ostkreuz City gGmbH

„Ich fühle mich immer noch feige, wenn ich von anderen Jugendlichen provoziert werde, ich schlage jedoch jetzt nicht mehr zu, weil ich keine Lust auf die ganze Problemkette (z. B. Polizeiverfahren, Gerichtstermine etc.) habe.“ (Dean, Name geändert)

Was begeistert dich besonders an der Arbeit mit Jugendlichen nach §10 JGG?

Mich begeistert an der Arbeit mit Jugendlichen, dass ich mit ihnen für die Dauer einiger weniger Gespräche (z. B. im Rahmen einer Beratungseinheit) bis hin zu 12 Monaten (z. B. im Rahmen einer Betreuungsweisung) gemeinsam auf eine Reise gehen kann. Während dieser Reise kann ich die Jugendlichen in ihrem Prozess unterstützen – z. B. ihre Schulden abzubauen, einen ersten eigenen Wohnraum zu finden und/oder sich intensiv mit ihrem straffälligen Verhalten auseinanderzusetzen. Für mich ist die Arbeit deshalb sehr sinnig und macht mir sehr viel Spaß.

Erzähle uns kurz über deine Arbeit mit Dean

Körperverletzung, Hausfriedensbruch, Bedrohungen – Dean hatte mehrere strafrechtliche Fehlverhalten. Er bekam vom Gericht die Weisung, bei mir ein Soziales Kompetenztraining (Einzeltraining) nach §10 JGG zu absolvieren. Die Schwerpunkte des Trainings waren u. a.:

  • die Auseinandersetzung mit seinen strafrechtlichen Fehlverhalten
  • die Stärkung seines eigenen Selbstwerts
  • das Erlernen von gewaltfreien Handlungsalternativen zur Gewaltanwendung

Wir haben verschiedene Übungen zum Perspektivwechsel, zur Stärkung des Auswirkungsbewusstseins und der Verantwortungsübernahme sowie zur Aufarbeitung der Gewalt- und Konfliktsituation gemacht.

Nach dem Abschluss des Trainings berichtete Dean, dass er u.a. in der Lage ist zu erkennen, dass Gewaltanwendungen in Einzel- und Gruppenkontexten nicht sinnvoll sind, weil sie ihm mehr Nachteile bringen („Ich habe keine Lust auf die darauffolgende Problemkette“). Konflikten und Gruppensituationen, die zu eskalieren drohen, geht er nun gezielt aus dem Weg.

 

Welche Methoden waren hilfreich, und wie wurden sie angewendet?

Ich denke, viel wichtiger als jede Methode in der Arbeit mit straffälligen Jugendlichen ist die eigene Grundhaltung zu den Jugendlichen.

Eine offene, lösungs- und ressourcenorientierte Haltung und ein ganzheitlicher Blick auf das Innere des jungen Menschen sowie auf das Familien- und Sozialsystem sind zentral. Damit kann ich den Fokus auf „gute Gründe“ für die Verhaltensweisen sowie die Ressourcen des Jugendlichen legen und diese würdigen. Dadurch wird eine respektvolle und offene Atmosphäre in der Begegnung mit den Anliegen der Jugendlichen möglich.

Meine Methoden/ Übungen variieren je nach Weisung des Gerichts und Anliegen des Jugendlichen. Hier sind zwei davon:

  1. Die Pro- und Kontraanalyse

Dean hat sich dabei sowohl mit den Vorteilen seines gewaltvollen und strafrechtlichen Handelns als auch mit den damit verbundenen Nachteilen auseinandergesetzt. Er wurde dabei begleitet, diese zueinander ins Verhältnis zu setzen. Im darauffolgenden Schritt konnte er mögliche Handlungsalternativen für sich entwickeln. Dabei war es ihm wichtig, auch die Nachteile von alternativen Handlungen zu würdigen.

  1. Die Übung ‘Vier Viertel des Lebens‘

Dean hat mit dieser Übung z.B. seine kurz-, mittel- und langfristigen Ziele im Leben visualisiert und reflektiert, und welche möglichen Auswirkungen sein Verhalten auf diese Ziele haben kann. Er sollte z.B. benennen, welche Ziele er im Alter von 20, 30, 40 und 60 Jahren erreicht haben will. Ihm ist bewusst geworden, dass sich gewaltvolles Handeln und die Eskalation von Konflikten insbesondere auf längere Sicht nicht ‘lohne‘.

 

Welche Herausforderungen begegnen dir immer wieder bei deiner Arbeit mit straffälligen Jugendlichen?

Eine der größten Herausforderungen ist, dass die meisten Jugendlichen anfangs kein eigenes Anliegen haben, sondern dass die richterliche Weisung, also z. B. das Soziale Kompetenztraining, für sie das Problem darstellt. Im Rahmen dieses Überweisungskontextes mit den Jugendlichen den Auftrag und daraus mögliche Ziele für eine Betreuungsweisung bzw. für ein Soziales Kompetenztraining zu erarbeiten, ist herausfordernd und interessant zugleich.

Was müssten interessierte Mitarbeitende für soziale und fachliche Fähigkeiten mitbringen, um in diesem Bereich erfolgreich zu sein?

Hilfreich sind Erfahrungen in der Arbeit mit Jugendlichen, sowie eine offene, lösungs- und ressourcenorientierte Haltung (siehe oben) zu haben. Dazu ist zum Beispiel eine Ausbildung zum systemischen Berater bzw. Therapeuten sehr hilfreich.

Zudem sollten die Kolleg:innen verschiedenen Methoden der Straftataufarbeitung kennen. Ich biete 1x im Jahr allen interessierten Mitarbeitenden, die sich bereit erklären, Hilfen nach §10 JGG zu machen, eine Tagesfortbildung zum Thema Straftataufarbeitung an.

Weitere Infos / Link zum Flyer Antigewalttraining